ADHS und Urlaub?
Von Lukas Maher bzw. @systemischegesundheit
Eine Frage von genügend Puffer?
Ich habe Lukas, einen Psychotherapeuten, der selbst auch ADHS hat, gefragt:
Wieso stresst denn Urlaub so krass??
Wir wollen doch nur was Schönes erleben - und sind im nachhinein meist gestresster als vorher?? HÄ? Das hat er geantwortet:
Viele Menschen fiebern ihrem All-Inclusive-Urlaub-Sommerurlaub jedes Jahr entgegen. Und das zurecht. Entspannung am Strand, »Nichts tun«, einfach von Frühstücksbüffet, zu Poolbar, zurück zum Abendbüffet, zurück zur Poolbar und ins Bett.
Was für viele die »bare minimum« Entschädigung einer »Hustle Culture« ist, das ist für viele Menschen mit ADHS gar nicht so leicht. Dabei haben wir Urlaub ebenso nötig, wie unsere neurotypischen Mitmenschen.
Aus dem Sommerurlaub könnte durchaus auch ein Politikum machen, denn Urlaub, der mit Reisen verbunden ist, der kostet Geld. Familien, die von finanzieller Benachteiligung betroffen sind, können sich das schlicht nicht leisten. Menschen mit ADHS haben ein statistisch höheres Risiko, von sozialer und damit auch finanzieller Benachteiligung betroffen zu sein.
Dafür ist dann nicht der Psychotherapeut zuständig, sondern Christian Lindner, was das Ganze nicht wirklich besser macht. Für jene, die sich einen Urlaub mit Reise finanziell leisten können, gibt es aber auch noch einige Punkte zu beachten:
Quelle: Spencer, N. J., Ludvigsson, J., Bai, G., Gauvin, L., Clifford, S. A., Abu Awad, Y., Goldhaber-Fiebert, J. D., Markham, W., Faresjö, Å., White, P. A., Raat, H., Jansen, P., Nikiema, B., Mensah, F. K., & McGrath, J. J. (2022). Social gradients in ADHD by household income and maternal education exposure during early childhood: Findings from birth cohort studies across six countries. PLoS ONE, 17(3), e0264709. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0264709
Sommer? Hab‘ ich da was verpasst?
Meine Klient:innen mit ADHS, die mir in der Psychotherapie begegnen, haben vor allem dann, wenn sie von außen betrachtet »gut« im Beruf »funktionieren« , häufig ein ganz anderes Problem:
Zeit oder Zeitblindheit.
In einem neurotypischen Berufsleben gut zu funktionieren bedeutet nicht selten priorisieren zu müssen. Und gutes Priorisieren bedeutet dabei häufig: »Ich komme als Letztes.«
So kann es passieren, dass der Sommer an uns vorbeizieht und wir Ende August feststellen, dass wir ja noch gar keinen Sommerurlaub eingeplant haben.
Und so sehr wir Verbindlichkeiten mit langen Vorlaufzeiten hassen, empfehle ich:
»Tragt euren Sommerurlaub so früh wie möglich ein«.
Es fühlt sich häufig wie ein großer Freiheitsverlust im Januar an, schon über Pläne im Juli nachdenken zu müssen.
Aber euer Zukunfts-Ich wird euch dafür später die Augen küssen!
Organisation oder Inspiration ?!?!
Die zweite Hürde, die vielen Menschen mit ADHS begegnet, vor allem dann, wenn Organisationsprobleme ein Thema sind, ist die Urlaubsplanung.
Solltet ihr nicht alleine reisen, empfehle ich euch eine gute Arbeitsteilung im Sinne eurer Ressourcen.
Was ist euer Beitrag zu einem schönen Urlaub?
Ich bin beispielsweise ein Meister darin, gute Restaurants und Hotspots herauszusuchen, ich bin ein halbwegs geduldiger Mietautofahrer und kann vor allem an Tagen, die nicht verplant sind, zu spontanen Roadtrips motivieren. Viele andere Dinge gelingen mir nicht so gut.
Solltet ihr alleine reisen und Schwierigkeiten bei der Planung erleben, könnt ihr KI-Tools wie ChatGPT oder Layla.ai nutzen. Oder ihr fragt eure Freund:innen, ob sie euch dabei helfen.
Vorbereitung kann zwar nervig sein, aber vielleicht lasst ihr euch einfach von Bildern oder Videos auf Social Media inspirieren. Insbesondere, wenn ihr nicht alleine unterwegs seid, ist die Hürde im Urlaub häufig zu hoch, noch ein komplettes Urlaubsprogramm auf die Beine zu stellen. In der Folge machen wir dann halt das, was andere auch machen und sind davon (manchmal) frustriert. Auch hier dankt das Zukunfts-Ich.
Vielleicht denkt ihr auch im Voraus schon etwas darüber nach, welche Routinen für euch essentiell sind. Für einige ist das der morgendliche Sport, für andere eine feste Zeit am Abend, wiederum andere feiern es total, mal so gar keine Routinen zu haben. Flexibilität kann man ja auch einplanen.
Mein Tipp: Ihr dürft auch im Urlaub Routinen haben, wenn die euch guttun. Macht aber nicht den gleichen Fehler wie im Alltag. Plant lieber etwas weniger ein.
Medis oder keine Medis??!
Solltet ihr eure Stimulanzien auch im Urlaub nehmen, checkt vorher unbedingt, welche Bedingungen im Rahmen einer Einreise gelten.
Für Reisen innerhalb der EU gibt es ein standardisiertes Formblatt vom Bundesministerium für Arzneitmittel und Medizinprodukte, das eure behandelnde:r Ärzt:in ausfüllen muss. Also die Person, die euch das Medikament verschreibt. Danach müsst ihr noch zu einer Landesbehörde – meist sind das die Gesundheitsämter – und das Ganze beglaubigen lassen.
Das kostet insgesamt meistens zwischen 10 und 20 Euro.
Ob ihr euer Medikament im Urlaub weiter nehmt, weil es euch gedanklich, motorisch und emotional ordnet oder ob ihr den Urlaub als »Medikationspause« nutzt, das ist eure Entscheidung und solltet ihr am besten mit eurem/eurer Ärzt:in besprechen. Ich habe beides erlebt und selbst schon beides ausprobiert.
Mein Tipp: Quält euch nicht. Es ist euer Urlaub.
Den inneren Kritiker in Urlaub schicken!!
Nachdem für viele das Herauslösen aus der eigenen Lebenswelt vor einem Urlaub mit viel Stress verbunden ist und man manchmal zwei Tage zum »akklimatisieren« benötigt, kommt es nicht selten vor, dass man vor der Abreise oder unmittelbar nach dem Urlaub mit starken Gefühlen zu kämpfen hat.
Das ist normal und kann passieren.
Es ist wahrscheinlich sogar eher ein Zeichen dafür, dass ihr eine gute Zeit hattet.
Ihr dürft darum trauern, dass der Urlaub vorbei ist. Menschen, die schnell und viel fühlen, denen merkt man das eben etwas mehr an. Das ist in Ordnung.
Mein Tipp: Nehmt euch nach dem Urlaub, wenn möglich, eine Pufferzeit.
Solltet ihr sonntags zurückkehren, kann es für einige sehr überwältigend sein, montags schon wieder mit 180 Sachen im Berufsleben zu stehen. Manche meiner Klient:innen verkürzen ihren Urlaub um 2–3 Tage um davor und danach genügend Pufferzeit für Organisation und schrittweise Rückkehr in den Alltag zu haben.
Quelle: BfArM - Reisen mit Betäubungsmitteln. (o. J.). Abgerufen 2. September 2024, von https://www.bfarm.de/DE/Bundesopiumstelle/Betaeubungsmittel/Reisen-mit-Betaeubungsmitteln/_node.html